Der Blick durch die gelbe Brille

Der Blick durch die gelbe Brille
Zuerst habe ich
gedacht: Dieser Mann ist verrückt! Kurz nach meinem Stellenantritt bei den
Schweizer Wanderwegen kam Pascal Bourquin zu mir ins Büro und stellte sein
Projekt vor. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, sämtliche 65000 Kilometer
Wanderwege persönlich abzuwandern. Auf rund 30 Jahre schätzte er die Dauer seines
kühnen Vorhabens.
Ich habe ihn abgewimmelt, obschon er mir damals schon sympathisch war. Wer interessiert sich schon für ein solches Projekt? Auch bei seinem zweiten Versuch gab ich ihm einen Korb. Doch Pascal Bourquin ist kein Mann, der schnell aufgibt. Auch ohne meine Unterstützung wanderte er los und begann, Kilometer zu sammeln. Dann tauchte er nochmals in meinem Büro auf und hat mich schliesslich überzeugt. Heute ist der drahtige Jurassier mitunter auch Botschafter der Schweizer Wanderwege.
Das ist acht Jahre her. «Bourquin le jaune» – Bourquin der Gelbe – ist immer noch unterwegs und hat unterdessen fast die Hälfte der Kilometer abgehakt. Vier Tage pro Woche nimmt sich der 59-jährige Journalist Zeit für sein Projekt «La vie en jaune» – in den Ferien sogar noch mehr. Meine anfängliche Skepsis ist der Bewunderung gewichen. Das Vorhaben ist nicht nur eine sportliche, sondern auch eine logistische Meisterleistung. Von seinem Wohnort Moutier aus muss Pascal Anreise und Wanderrouten möglichst effizient planen, so dass er möglichst wenige Wegkilometer doppelt gehen muss. Für mich als Geschäftsführer der Schweizer Wanderwege ist Pascal zu einem guten Beispiel geworden, um an Vorträgen anschaulich zu erklären, wie viel 65 000 Kilometer sind: Ein Mann, der sehr schnell geht und sehr viel Ausdauer hat, braucht dafür 28 Jahre.

Obwohl ich diese Route nicht selber gewählt hätte, war es ein tolles Erlebnis. Auf der Schynige Platte war die Saison bereits zu Ende und wir hatten den Touristen-Hotspot praktisch für uns alleine. Nur gerade fünf Menschen sind uns unterwegs begegnet. Wo sich sonst Ausflügler aus aller Welt tummeln, herrschte für einmal überraschende Ruhe. Keine quirligen Kinder auf dem Alpenspielplatz, keine Alphornklänge, keine Spaziergänger im Alpengarten, keine Warteschlangen an den Selfie-Points. Nur kurz vor oder kurz nach der Saison kann man solche Orte auf diese ganz spezielle Weise erleben. Es braucht dazu allerdings etwas Schnauf und die nötige Vorsicht. Wegsicherungen werden vor dem Winter manchmal abgebaut. Sobald der erste Schnee fällt, kann es zudem gefährlich werden.
Wir habe die Ruhe an diesem Spätherbsttag auf jeden Fall genossen - und sind auf den steilen Wegen trotzdem ins Grübeln geraten. Wer kommt überhaupt auf die Idee, hier einen Wanderweg zu bauen? Wer nutzt einen solchen Weg? Und wie gross muss der Aufwand für den Unterhalt in diesem Gelände sein?
Erst kürzlich musste der Weg zwischen Breitlauenen und der Schynige Platte wegen Steinschlags aufwändig saniert werden. Vielleicht ist das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag aus rein ökonomischer Perspektive tatsächlich fragwürdig – doch der Aufwand lohnt sich: Wandern ist in der Schweiz die beliebteste Sportaktivität und hat nachweislich viele positive Effekte auf die psychische und physische Gesundheit. Es ist einfach wunderbar, solche einsamen Pfade durch wilde Landschaften begehen zu können. Wissen Sie, was ich meine?
Um die 65 000 Kilometer Wanderwege zu erhalten, hilft auch Ihre Unterstützung. Herzlichen Dank dafür!

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Einsame Wege über der Schwarzen Lütschine

La vie en jaune
Das Langzeitprojekt von Pascal Bourquin: Er erwandert alle 65 000 Kilometer markierten Wanderwege der Schweiz und dokumentiert diese mit beeindruckenden Fotos und Geschichten.
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