Mehr Transparenz, weniger Gefasel
Wer seine Ausrüstung ersetzen oder eine neu anschaffen will, kommt um Nachhaltigkeit nicht mehr herum. Gut so, lange genug haben ausgerechnet wir Bergsportler uns unkritisch Sondermüll verkaufen lassen. Am Beispiel einer Hardshell-Jacke zeigt WANDERN.CH, wie wir genau hinschauen können – um nicht länger blinde Mittäter zu sein.
Barbara Graber, Afshin Etesamifar
Den Kopf in den Sand stecken geht nicht mehr. Seit Greenpeace mit der Detox-Kampagne Hersteller und Käufer wachgerüttelt hat, wissen wir, was wir längst vermutet haben: Auf unseren Wanderungen blieben wir auf Kosten der Umwelt trocken. Wir liessen uns gefangen nehmen im Hamsterrad eines Systems, in dem immer mehr, immer besser und immer günstiger der Antrieb sind. Zeit also, auszubrechen und Verantwortung zu übernehmen. Umweltgifte vermeiden, Ressourcen schonen und fair handeln ist für viele zu einem echten Bedürfnis geworden.
Doch die Welt der neuen Begriffe wie nachhaltig, recycelt, eco und fair ist viel komplexer, als es uns die Werbeslogans der Produzenten weismachen wollen. Welche Produkte sind echte Alternativen, und welche laufen unter Greenwashing, dem Vorgehen, ungelöste Probleme unter ei nem grünen Mäntelchen zu verdecken?
WANDERN.CH wollte es wissen und bat Oliver Gross, Geschäftsführer von Rotauf, um Klärung. Die kleine Schweizer Outdoormarke aus dem Bündnerland hat sich der Detox-Kampagne angeschlossen und sich dazu verpflichtet, auf über 430 gefährliche Chemikalien und Chemikaliengruppen zu verzichten. Sie produziert ihre Kleider in der Schweiz.

Viel Intransparenz
Oliver Gross nimmt uns gleich zu Beginn die rosa Brille von der Nase: Viele Lieferketten blieben allen Bemühungen zum Trotz intransparent. Aus 37 verschiedenen Bestandteilen ist eine Jacke aus der Tour-Serie von Rotauf gefertigt, sie kommen von 15 Lieferanten. So kann auch Rotauf nicht für sämtliche Teile die Bedingungen der Herstellung vollständig nachweisen: «Selbst wenn ein Produzent im fernen Osten Überprüfungen, sogenannte Audits, zulässt, bleibt häufig ein unsicheres Gefühl zurück», sagt Gross. Sprachliche und kulturelle Hürden liessen Gespräche mit den Mitarbeitern vielfach nicht zu. Und wenn, müssten Hersteller oft das Wort des örtlichen Dolmetschers für wahr hinnehmen. Oft verlören bekannte und anerkannte Non-Profit-Organisationen zudem ihre Transparenz durch Sponsoringleistungen von Herstellern.
Wie soll sich da der Konsument zurechtfinden, wenn schon dem Profi der letzte Durchblick fehlt? Glaubwürdigkeit heisst das Zauberwort. Überprüfbare Angaben statt Marketinggeschwurbel, Mut zur Lücke im Sortiment und transparente, vergleichbare Informationen helfen, Vertrauen zu schaffen. Einige wenige Produzenten wie Rotauf, Vaude, Fjällräven und neuerdings auch Jack Wolfskin spielen in dieser Liga. Doch die meisten anderen sammeln – mit zum Teil durchaus vorbildlichen Einzelmassnahmen – noch Punkte für den Aufstieg.
Lukrativer Handel mit Müll?
Hauptbestandteil einer Jacke ist der dreilagige Stoff: Ihn kaufen die meisten Hersteller fixfertig ein. Und zwar bis vor Kurzem ausschliesslich im Ausland. In der ehemaligen Textilhochburg Schweiz fertigt keine Firma solche Stoffe. Immerhin stellt seit 2019 das Schweizer Start-up Dimpora eine Membran her, die dann in Österreich laminiert wird. Das Tape kommt vom selben Lieferanten wie der Stoff. Das ist durchaus sinnvoll, um unliebsamen Wechselwirkungen der Materialien vorzubeugen. Oft werden die Garne für Aussen und Innenstoff heute aus recyceltem Material wie PET-Flaschen oder Fischernetzen gesponnen. Tönt gut, aber animiert Recycling gar zu unbedenklichem Konsum von PET? Denn der Müll wird langsam knapp. Laut Oliver Gross wird deshalb auch geschummelt. Trotz allem: Stoffe aus Polyester, recycelt aus PET und mit einem Anteil an neuen Fasern, sind robuste, angenehm zu tragende Materialien und können wieder eingeschmolzen werden. So wird aus der recycelten Regenjacke sogar eine recycelbare. Von dieser Vision ist die Branche allerdings noch weit entfernt. Recycling von Kleidung benötigt eine ausgereifte Technik und ist durch den hohen logistischen Aufwand teuer. Ein Schnelltest zeigt: Weder auf den Etiketten noch auf den Websites der grossen Bergsportketten finden sich Hinweise darauf, was mit der Jacke am Ende ihrer Lebensdauer passieren soll.
Das Hauptproblem ist unsichtbar

Eingeklemmt zwischen Aussen- und Innenstoff liegt die Membran, das Herzstück einer jeden Hardshell-Jacke. Ausgerechnet Goretex, das Synonym für Membran schlechthin, entpuppt sich als Giftcocktail. Gore verwendet Polytetrafluorethylen PTFE, ein synthetisches Fluorpolymer, auch unter dem Handelsnamen Teflon bekannt. Bei der Herstellung von PTFE werden zwei Chemikalien benötigt, die bereits seit den 1980er-Jahren als krebserregend gelten. Ausserdem ist die Herstellung von PTFE rund 200-mal energieintensiver als die von Alternativen. Richtig übel wird es, wenn PTFE verbrannt wird. Es entsteht gasförmiger Fluorwasserstoff. Der ist an sich schon gefährlich, wandelt sich aber in Verbindung mit Feuchtigkeit zu Flusssäure, einer extrem giftigen und bereits in geringen Mengen tödlichen Chemikalie. Problematisch wird das, wenn Fluorwasserstoff eingeatmet wird und dieses Gas mit feuchten Schleimhäuten in Kontakt kommt. PTFE darf deshalb nur in modernen Kehrichtverbrennungsanlagen mit entsprechenden Filtern verbrannt werden. Goretex gehört somit in den Hauskehricht und niemals in die Kleidersammlungen. Denn wer garantiert, dass unser ehemaliges Lieblingsstück nicht irgendwo im Osten oder in Nepal zum Heizen in offenen Räumen verwendet wird?
Dass Gore an PTFE festhält, hat einen Grund: Es ist die Membran mit der höchsten Lebensdauer. Etwa acht Jahre hält sie bei sachgerechter Pflege dicht. Da schneidet die Konkurrenz, die mehrheitlich Polyurethane (PU) verwendet, mit vier bis fünf Jahren weniger gut ab. PU können aber gefahrlos verbrannt werden, auch wenn Kunststoffe zu verbrennen nie wirklich gut ist. Die Forschung bei der Herstellung von alternativen Membranen läuft auf Hochtouren.
Bunte, giftige Modewelt
Synthetische Fasern sind weiss und – falls recycelt – ein wenig gelblich. Doch nur die wenigsten wollen mit einer weissen Jacke raus in die Natur. Genau, da muss Farbe her. Farbpigmente aber sind generell sehr giftig. Der Verzicht auf schwermetallhaltige Farben macht immerhin aus sehr schlimm nur noch schlimm. Der Stoff wird entweder in ein Farbbad getaucht, oder die Farbe wird der Masse beigemischt, aus der das Garn gesponnen wird. Diese neuere Technik, Spin Dye genannt, senkt den Wasserverbrauch um 60 Liter je Laufmeter Stoff, es entsteht kein Abwasser und die Stoffe sind farbechter. Die Farbe aber bleibt giftig, und die Farbpalette am Kleiderständer sinkt: Dieses Verfahren eignet sich nur für sehr grosse Mengen, die Hersteller müssen sich auf eine Handvoll Farben festlegen, damit die Kleider erschwinglich bleiben.
Auch Kleinvieh macht Mist
Schliesslich fehlen noch die vielen Kleinteilchen, welche die Jacke vervollständigen. Stopper, Ösen, Kordeln, Druckknöpfe, Etikette und Aufhänger müssen günstig sein. Ob alle Teilchen einer Jacke ein oder zwei Franken kosten, wirkt sich über Multiplikatoren wie Zwischenhandel und Handel auf den Endpreis schnell mal mit 20 oder mehr Franken Mehrpreis aus. Günstige Preise werden so oft auf Kosten der Arbeiterinnen erreicht. Je höher der Arbeitsanteil bei einem Teilchen ist, desto gewichtiger sind die Lohnkosten: Wer näht die Etiketten, wer bedruckt sie mit den Pflegeangaben? Wer montiert die kleine Metallfeder in den Stopper, und wer knöpft den schicken Zipper Puller in den Reissverschlussschlitten? Das alles ist meist sehr undurchsichtig, und ob die Fairness für die Arbeiterinnen oder gar das Verbot von Kinderarbeit bei so feinen Handarbeiten gewahrt bleibt, ist für den Konsumenten praktisch unkontrollierbar. Hier hilft nicht einmal das Label Fair Wear, welches die sozialen Bedingungen nur in den Nähereien, nicht aber bei den Produzenten von Reissverschlüssen und anderen Kleinteilen prüft.
Nun noch eine gute Nachricht: PFC-freie Imprägnierungen sind heute eher die Norm als die Ausnahme (siehe WANDERN.CH 4/19). Selbst die wasserdichten Reissverschlüsse von Marktführer YKK sind auf Druck eines grossen Modelabels seit 2019 alle PFC-frei. Leider ist dies aber schon das Ende der guten Nachricht, denn wo der Reissverschluss produziert wird, ist noch klar, aber auch dieser besteht wieder aus Einzelteilen: Stoff, Zähnen, Stoppern, Schlitten und Farbe. Diese Lieferkette aufzuzeigen, ist Sache des Reissverschlussherstellers. Aber nicht alle Lieferanten geben sie bekannt. Es geht eben häufig auch darum, Marktvorteile zu bewahren. Apropos Marktvorteil: 70 Prozent der Wertschöpfung einer Hardshell-Jacke verursacht die Näherei. Eine Jacke zu nähen, kostet in China rund 25 Franken, in der Schweiz zehnmal mehr.


Hier wollen wir mehr wissen: Verstärkungen – intransparente Lieferkette, Stopper/Kordeln – schlechte Arbeitsbedingungen für Arbeiterinnen / Kinderarbeit
Informieren vor dem Konsumieren
Damit beim nächsten Kaufentscheid nicht wieder blinder Konsum vor Ökologie kommt, lohnt es sich, vor dem Gang ins Fachgeschäft ein paar Gedanken zu verlieren und Fragen zu notieren. Um die Nachhaltigkeit von Produkten beurteilen zu können, genügt es nicht, allein auf die Herstellungsprozesse zu schauen. Ebenso wichtig ist es, dem Produkt ein möglichst langes und intensives Leben zu ermöglichen. Muss die neue Jacke leichter sein? Der Trend zu immer leichter bedeutet leider auch immer weniger robust. Gefällt mir die Farbe auch in ein paar Jahren noch? Brauche ich wirklich eine Jacke für jede einzelne Aktivität, oder dient mir eine Jacke zum Wandern, Schneeschuhlaufen, Skifahren und auf dem Weg ins Büro? Die darf dann auch teurer sein, dafür ist sie nachhaltiger produziert. Stehe ich mit meiner Jacke wirklich stundenlang im Regen, oder gehe ich eh nur bei trockenem Wetter länger nach draussen? Weniger aufwendige Membranen halten bei Regen auch trocken, nur vielleicht nicht ganz so lange. Pflege ich meine Jacke richtig? Wer die Pflegehinweise des Herstellers und die Tipps des Verkäufers beachtet, verlängert das Leben seiner Jacke.
Fragen lohnt sich. Zeigen Sie Interesse an der Nachhaltigkeit, und erkundigen Sie sich nach Art und Herkunft der Materialien und den sozialen Bedingungen der Produzenten. Lassen Sie sich nicht mit unverständlichen Schlagworten abspeisen. Nur wer klar und verständlich antworten kann, ist glaubwürdig. Bietet der Laden einen Reparaturservice? Wie wird die Jacke richtig entsorgt? Auch das sind wichtige Fragen. Denn ganz egal, wie oft ein Kleidungsstück getragen, repariert und wiederverwendet wurde, irgendwann wird es zum Entsorgungsfall.