Zerschlissen und zugenäht

Foodwaste ist ein grosses Thema. Und was ist mit Materialwaste? Bedeutet ein defektes Wanderteil gleich sein Aus? Das Testteam von WANDERN.CH hat kaputte Wanderteile in die Reparatur geschickt und macht den Vorher-Nachher-Vergleich.

Nathalie Stöckli, Markus Ruff

Abgefallene Wanderschuhsohlen, entgleiste Reissverschlüsse oder löchrige Funktionsjacken sind ärgerlich. Besonders, wenn es das Lieblingsteil erwischt. Denn von gut eingelaufenen Wanderschuhen oder bewährten Rucksäcken fällt die Trennung schwer. So geht es auch Vera, Andreas, Markus und Rémy vom Testteam der Schweizer Wanderwege. Was oft wenig bekannt ist: Viele Firmen bieten einen Reparaturservice an. Ein kaputter Schuh, ein Loch in der Jacke sind darum noch lange kein Grund, das Teil zu entsorgen, eine Rettungsaktion kann sich lohnen – das freut das Portemonnaie und auch die Umwelt. WANDERN.CH besuchte zwei Reparaturwerkstätten, die Schuhreparatur- Werkstatt von Lowa und die Transa-Schneiderei in Bern und brachte strapazierte Teile vorbei.

Sohle geht neue Wege

Schuhmacher Ernst Jakob ersetzt die Sohle. Dann kanns wieder in die Berge oder in den Wald.

Die Schweizer Niederlassung der Schuhfirma Lowa ist in Matten bei Interlaken. Da befindet sich auch die hauseigene Reparaturwerkstatt. Das fünfköpfige Team um Schuhmacher Ernst Jakob nimmt täglich zwischen 50 bis 70 Paar Schuhe entgegen, Retouren und Reparaturaufträge aus der ganzen Schweiz, überwiegend von Geschäften aber auch direkt von Privatpersonen. «Was am gleichen Tag geflickt werden kann, geht am Abend wieder raus, damit es keinen Stau gibt», erklärt Jakob. So laute zumindest das ambitionierte Ziel bei kleineren Reparaturen. In der Werkstatt von Ernst Jakob gibt es allerlei zu tun: Absätze erneuern, Druckstellen ausweiten, Naht-, Fersenfutter- und Haken reparieren. Weitaus am häufigsten aber fallen Neubesohlungen an, weil sich die Sohle gelöst hat. «Schuld daran ist ein natürlicher Zersetzungsprozess des Materials, der in der Regel nach acht bis zehn Jahren einsetzt », erklärt Jakob. Auch kaum getragene und gut gepflegte ältere Schuhe sind davon betroffen, da sich die Weichmacher aus dem Dämpfungsmaterial verflüchtigen und dieses mit der Zeit spröde wird. Der Fachmann rät davon ab, mit solchen Schuhen wandern zu gehen. Zu gross ist das Risiko, dass sich die Sohle plötzlich löst. Aber woher weiss man, ob es bald so weit ist? «Man sticht mit einem Kugelschreiber in die Zwischensohle », weiss der Schuhmacher. «Stösst diese den Kugelschreiber zurück, ist alles ok. Hinterlässt er aber ein Loch oder bleibt sogar stecken, muss eine neue Sohle her.»

Schritt für Schritt zur Reparatur

Doch eine Neubesohlung ist kein Pappenstiel. Da wird die alte Sohle abgeschnitten, abgeschliffen und eine neue angeklebt. Dies allein schon erfordert bis zu 20 Arbeitsschritte. Dazu kommt der Aufwand für Logistik, Administration und Material. Eine Neubesohlung kostet darum bis zu 140 Franken, ein Preis, der gerade mal die Unkosten deckt. Dass Lowa trotzdem eine eigene Schuhmacherei betreibt, liegt am Service, den sie für den Kunden erbringen will. «Wir möchten die Schuhe so langlebig wie möglich halten, damit sie die Kundschaft so lange wie möglich tragen kann», sagt Ernst Jakob. Die vielen positiven Rückmeldungen auf seine Arbeit gibt der Firma recht. Wer seinen sonst noch intakten Schuh nicht einfach wegwerfen will, gibt gerne etwas Geld dafür aus und ist für die Rettung des Schuhwerks dankbar: «Wir erhalten regelmässig nette Grusskarten und Schokolade», freut sich der Schuhmacher, der bereits seit über 20 Jahren bei Lowa arbeitet. Doch wie geht man vor bei einem defekten Schuh? Fällt er innerhalb der Garantie an, so ist das Fachgeschäft die erste Anlaufstelle. Diese beurteilt den Schuh und schickt ihn ein. Ist hingegen die Garantie abgelaufen oder wird eine spezielle Änderung gewünscht, kann man sich direkt an die Servicewerkstatt wenden. Praktisch: Auf der Website lässt sich prüfen, welche Elemente des jeweiligen Modells reparierbar sind. Was, wie geflickt wird und ob sich das für die Kundschaft lohnt, wird individuell beurteilt und wo nötig Rücksprache gehalten. «Dabei spielt der Gesamtzustand eine wichtige Rolle. Ist nur das Fersenfutter durchgescheuert, ist eine Reparatur sinnvoll», rät Jakob. Hoffnungslose, unreparierbare Fälle kämen nur vereinzelt vor. Prinzipiell ist vieles möglich. «Ich habe auch schon 25-jährige Schuhe geflickt. Die waren schon längst amortisiert, doch nicht selten ist der emotionale Wert grösser», erzählt Jakob.

Nachhaltige Wegbegleiter

Ähnliches erlebt auch Nina Berger. Sie ist seit zwei Jahren Schneiderin bei Transa in Bern. «Manchmal staune ich nicht schlecht, was die Leute alles zum Reparieren vorbeibringen, weil sie daran hängen», plaudert sie aus dem Nähkästchen und stellt ein Umdenken fest: «Die Leute wollen Ressourcen schonen. Sie lassen ihre Kleidung flicken, auch wenn es manchmal teuer wird», beobachtet sie mit Freude. Im letzten Jahr hat ihr dreiköpfiges Team rund 1000 Reparaturen durchgeführt, und die Nachfrage steigt. Im Angebot stehen Änderungen, Reparaturen, Wäscheservice oder Wachsen. In der Transa-Schneiderei wird querbeet alles Mögliche an Kleidern bearbeitet, jedoch keine Garantiefälle. Diese werden zur Marke eingeschickt. «Wer ein Problem hat, kommt am besten für eine Beratung mit der gewaschenen Textilie vorbei», rät Nina Berger. Die Lösung des Problems ergibt sich oft in einer Balance aus den Faktoren Preis, Aussehen und Funktionalität. «Was den Ausschlag gibt, ist individuell. Deshalb ist die Vorbesprechung wichtig», erklärt Nina. Was nicht gerettet werden kann, wird gesammelt und als Ersatzteile für die Reparaturen verwendet. Auf Wunsch ist auch ein Upcycling möglich, bei dem beispielsweise ein altes T-Shirt zu einem Loop umfunktioniert wird.

 

Am häufigsten repariert Nina Berger die besonders beanspruchten Reissverschlüsse. Muss nur der Schieber ersetzt werden, geht die Sache nicht länger als zwei Minuten und kostet um die 15 Franken. «Da staunen die meisten», freut sich Nina. Etwas komplizierter wird es, wenn der komplette Reissverschluss ersetzt werden muss. Weitere häufige Defekte sind Brandlöcher, Risse von Stürzen oder geklebte Elemente, die sich lösen. «Viele Defekte ergeben sich, weil die Kleidung falsch behandelt oder nicht gut gepflegt wird», erklärt Nina. So löst Schweiss geklebte Stellen, beispielsweise im Nackenbereich. Deshalb ist regelmässiges Waschen wichtig. Nina gibt auch gerne Reparaturtipps und Ratschläge, etwa zur Wahl des Fadens, des Tapes oder der Nähtechnik. «Einigen liegt das mehr, anderen weniger. Und wer sich überschätzt hat, ist meist froh, wenn wir übernehmen», erzählt Nina lachend.

Ausgefuchst

Ein Fuchs schlich sich in Veras Wintergarten. Das Resultat: zwei durchgebissene Rucksackriemen. Behelfsmässig hat sie beide zusammengenäht. «Doch das hat nicht gut funktioniert und sah nicht schön aus», meint Vera. Den Henkel hat die Transa-Schneiderin mit einem neuen Riemen untergelegt und mit dem alten vernäht. Den Trägerriemen hat sie komplett ersetzt. So hat der Rucksack alle seine Funktionen wieder.

Fazit von Vera: «Man sieht kaum, dass es geflickt ist. Eine sehr detaillierte Arbeit. Ich gebe 10 Punkte!»

  • Defekt: gerissene Riemen
  • Reparatur: zwei Riemen ersetzen
  • Preis: 25 Frankenn

Ausgedient

Andreas hatte seinen Lieblingsrucksack stets auf allen Wanderungen und Touren dabei. Nun geht es leider bergab mit dem guten Stück. «Der Rucksack hat seine Lebensdauer erreicht», so die Diagnose der Schneiderin. «Der Kordelzug reisst bald, das Material ist nur noch ein Hauch, und das Polster an der Rückenpartie ist abgewetzt.» Als Trostpflaster hinterlegt sie das gerissene Deckelfach einem Klebetape und vernäht den Riss.

Fazit von Andreas: «Schade, dass man nicht mehr flicken konnte. Das Teil ist hin, ich muss mich wohl davon trennen.»

  • Defekt: Riss im Deckelfach
  • Reparatur: Riss vernähen
  • Preis: 20 Franken

Ausgefüllt

Rémys Kinder haben beim Picknick am Bachbett mit grossen Steinen unabsichtlich Löcher in seine teure Dreilagenjacke geschlagen. Die Frustration war gross. «Umso schöner, dass ich die Jacke wieder brauchen kann», freut sich Rémy. Dafür hat Schneiderin Nina kleinere Löcher von der Innenseite mit Taperondellen geflickt und das grössere Loch zusätzlich noch vernäht.

Fazit von Rémy: «Mit 30 Franken Investition ist die mehrere Hundert Franken teure Dreilagenjacke gerettet.»

  • Defekt: mehrere Löcher
  • Reparatur: mit Tape flicken und vernähen
  • Preis: 30 Franken

Ausgebessert

Dass Andreas viel wandert, zeigt sich auch an seinen Wanderhosen. Der Hosensaum ist abnutzt. «Vermutlich sind sie zu lang», stellt die Schneiderin fest. Dass sich das Kürzen lohnt, findet sie aufgrund des Gesamtzustandes eher fraglich. Doch weil Andreas seine Lieblingshose so lange wie möglich tragen möchte, kürzt sie die Beinenden und näht auf der Innenseite eine Verstärkung ein.

Fazit von Andreas: «Ich finde es sinnvoll, Wanderausrüstung zu tragen, solange es geht. Die Reparaturen machen dies möglich.»

  • Defekt: abgewetzter Hosensaum
  • Reparatur: Beinenden und Nähte verstärkt
  • Preis: 40 Franken

Ausgetauscht

Der Reissverschluss an Markus’ Jacke schliesst nicht mehr richtig. Ein typischer Fall: «Das liegt am abgewetzten Schieber», sagt Schneiderin Nina. Sie entfernt kurzerhand das obere Endteil des Reissverschlusses, tauscht den Schieber aus und bringt das Endteil wieder an. «Hätte ich gewusst, wie schnell und kostengünstig das geht, hätte ich das eine oder andere Kleidungsstück noch eine Weile weiterbenutzen können», staunt Markus.

Fazit von Markus: «Der Reissverschluss funktioniert wieder einwandfrei, wenn auch nicht ganz so leichtgängig wie ein neuer.»

  • Defekt: Reissverschluss schliesst nicht
  • Reparatur: Schieber ersetzen
  • Preis: 15 Franken

Ausgelatscht

Der Wanderschuh von Andreas hat über zehn Jahre auf dem Buckel. Die Sohle ist stark abgetragen. Weil Neubesohlungen ihren Preis haben, hat sich Andreas auch schon dagegen entschieden. Lohnt es sich diesmal? Ja, findet Schuhmacher Ernst Jakob: «Weil der Innenschuh, das Goretex und der ganze Schuh in gutem Zustand sind. Mit der Neubesohlung ist der Schuh wieder à jour.»

Fazit Andreas: «Ich bin sehr zufrieden. Der Schuh ist wieder fest und begleitet mich hoffentlich noch auf vielen Wanderungen.»

  • Defekt: Sohle abgenutzt
  • Reparatur: Neubesohlung inkl. Gummiband
  • Preis: 140 Franken

Ausgewechselt

Bei Rémys Wanderschuhen hat sich die Sohle gelöst, das Leder ist vom vielen Tragen mitgenommen. Ansonsten ist alles intakt. Deshalb wird auch hier neu besohlt. Dabei wurde auch das Fussbett erneuert. «Plötzlich habe ich bei langen Aufstiegen keine Blasen mehr», staunt Rémy. Auch ein Pflegecrememuster ist dabei, damit er die Schuhe besser umsorgen kann.

Fazit von Rémy: «Schön, ich habe jetzt neue Schuhe, die schon eingelaufen sind! Die neue Sohle gibt sehr guten Halt.»

  • Defekt: Sohle abgelöst
  • Reparatur: Neubesohlung inkl. Gummiband
  • Preis: 140 Franken

Aus dem Magazin WANDERN.CH 5/2021

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