Aus den Socken ins eisige Nass

Moore, Wasserfälle, Kneippanlage, Schwefelquelle, Wildbäche und Schnee bis in den Frühling: Im luzernischen Waldemmental können Wandernde Wasser auf viele Arten erleben. Eine Geschichte übers Schnee- und Wassertreten.

Reto Wissmann

Erst wohltuend, dann zunehmend schmerzhaft: Schneetreten oberhalb von Sörenberg.

Eine Gemeinde, zwei Jahreszeiten: Während im Ortsteil Sörenberg zur Freude der Wintersportler oft noch haufenweise Schnee liegt, blühen weiter unten in Flühli bereits die Krokusse und Schlüsselblumen. Was die beiden Dörfer im Luzerner Waldemmental allerdings neben ihrer politischen Einheit noch verbindet, ist das Wasser. Es begleitet einen in dieser Region in verschiedensten Formen auf Schritt und Tritt. Auf der Schneeschuhtour von der Talstation der Brienzer Rothornbahn über die Blattenegg zum Berggasthaus Salwideli und über die Alp Schlund wieder hinunter nach Sörenberg trifft man auf Wasser zunächst vor allem in gefrorener Form. Der nahe Frühling hat zwar bereits den Schnee von den dunklen Tannen geholt und lässt einzelne Bachläufe wieder heiter sprudeln. Die Alpweiden und die steilen Hänge der Rothornkette sind allerdings noch tief eingeschneit. Sonne und Eis, Wärme und Kälte, Frühling und Winter: ideale Voraussetzungen, um Schnee- und Wanderschuhe auszuziehen und endlich einmal eine nicht alltägliche Form des Wassertretens nach Sebastian Kneipp auszuprobieren.

Bis der Schmerz kommt

Der erste Eindruck nach einem Moment mit nackten Füssen im Schnee: erfrischend! Es fühlt sich zunächst überhaupt nicht kalt an, der stellenweise etwas harte Frühlingsschnee kitzelt angenehm, und die vom Aufstieg aufgeheizte Haut kühlt wohltuend ab. Kneippen soll ja vor allem den Kreislauf anregen und für warme Füsse sorgen. Schneetreten beim Wandern bringt hingegen zunächst einmal eine wohlige Abkühlung. Nach vielleicht einer Minute wird es dann aber doch langsam kalt und ein Schmerz setzt ein. Schnell beginnen sich die Füsse nach den Socken zurückzusehnen. Höchste Zeit, sie mit dem mitgebrachten Frotteetuch trockenzureiben und darin einzuwickeln. Geübte sollen bis zu drei Minuten durch den Schnee stelzen können. Für Anfängerinnen und Anfänger ist das aber entschieden zu lang. Sind die Füsse schön eingewickelt und hält man den heissen Kräutertee aus der Thermosflasche in der Hand, setzt bald ein wohliges Kribbeln ein, und die Wärme kommt langsam zurück. Eingefleischte Kneippianer schwören auf das Schneetreten. Bei regelmässiger Anwendung soll es die Abwehrkräfte stärken, gegen Müdigkeit und chronische Kopfschmerzen sowie gegen übermässigen Fussschweiss wirken. Eine Wohltat für eingeschnürte, verschwitzte Wandererfüsse ist es auf jeden Fall. Und Kinder mögen die kleine Mutprobe übrigens auch. In Deutschland gibt es gar Kneipp-Kindergärten und Kitas, wo die Kinder täglich durch die Kälte stapfen sobald Schnee liegt. So einfach die Wellnesskur umzusetzen ist, einige Dinge müssen dennoch beachtet werden: Vorher sollte man warme Füsse haben und sie danach auch gleich wieder aufwärmen. Pulvriger Neuschnee wäre ideal, bei vereister Schneedecke drohen Verletzungen. Und wer an akuten Blasen- oder Nierenerkrankungen leidet oder sich sonst unwohl fühlt, sollte besser auf das Schneetreten verzichten.

Kühle Erfahrung in der Kneippanlage Schwandalpweiher.

Riesige Wasserspeicher

Nach der wunderbaren Erfrischung und erquickenden Pause geht es beschwingt auf dem Schneeschuhtrail weiter durch das Wasserland. Nur wenig verrät, dass hier verborgen unter der weissen Pracht einige der grössten Moore der Schweiz liegen. Die riesigen Schwämme dienen nicht nur als Wasserspeicher, sondern bieten auch seltenen Pflanzen- und Tierarten einen Lebensraum. Im Sommer bringt der Erlebnispark Mooraculum das Thema Kindern und Erwachsenen näher. Im Winter geniesst man den federleichten Gang durch die lichten Wälder und weiten Ebenen.

Nachwandern? Hier der Wandervorschlag zur Geschichte

Bergwanderung

Flühli LU, Post > Flühli LU, Post   8.4 km | 2 h 20

Der Beginn dieser Wanderung wird einem schon schwergemacht: Bei der Bushaltestelle in Flühli lockt der «Poscht-Beck» mit seinen Köstlichkeiten, und gleich daneben lädt das Jugendstilhotel Kurhaus, in dem schon Lenin seine Geliebte untergebracht hatte, zur Einkehr. Wer....

Wassertreten bei sechs Grad

Unweit von Sörenberg kann man das Kneippen dann auch noch in seiner reinen Form zelebrieren – und dies das ganze Jahr über. Die Rundwanderung von Flühli über die Schwandalp zum Chessiloch und wieder zurück führt an der Kneippanlage Schwandalpweiher vorbei, die wohl nicht ganz zu Unrecht als eine der schönsten in der Schweiz angepriesen wird. Rund um den Weiher, der von zwei Quellen mit rund sechs Grad warmem Wasser gespeist wird, gibt es einen Barfusspfad, einen Kräutergarten, eine Wassertretanlage, eine Gussstation und ein Armbad. Die Wassertretanlage bleibt selbst den Winter über zugänglich und verlockt zu einer weiteren kleinen Mutprobe. Als «gesunde Abhärtung» wird Kneippen im Winter empfohlen. Bei einer Aussentemperatur, die nicht über jener des Wassers liegt, kriecht aber die Kälte rasch von den Waden den Körper hinauf und verwandelt den kneippschen Storchenschritt in eiliges Wasserpflügen. Nur schnell abrubbeln und zurück in die warmen Wanderschuhe! Der Kneippweiher war übrigens schon vor über 100 Jahren eine Energiequelle: Damals diente er als Reservoir für das Kleinkraftwerk einer Sägerei.

Heilendes Schwefelwasser

Im Chessiloch bleiben die Schuhe an den Füssen. Den Wasserfall geniesst man mit den anderen Sinnen.

Später auf der Rundwanderung beginnt es dann plötzlich, nach faulen Eiern zu stinken. Die Schwefelquelle unweit des Chessilochs führt heute zwar nur noch wenig Wasser, speiste aber einst ein «wunderlich heilsames Wasserbad», wie es auf einer Infotafel heisst. Hier suchten Kranke Heilung von Beinleiden, Hautausschlägen oder Augenleiden. Rund 300 Jahre wurde sie genutzt, bis das letzte Badehaus von einem Hochwasser des Rotbachs weggespült wurde. Die heilende und die zerstörerische Kraft des Wassers liegen hier ganz nahe beieinander. Bei guten Bedingungen gefahrlos und praktisch hautnah zu erleben ist die Kraft des Wassers ganz hinten in der Schlucht. Im Chessiloch überspannt eine Hängebrücke den spektakulären Felsenkessel und ermöglicht es den Wanderern, so nahe an den tosenden Wasserfall heranzukommen, dass sie die Gischt im Gesicht spüren. Das ist doch deutlich angenehmer, als mit nackten Füssen im kalten Wasser zu stehen.

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