
Felstürme in den Waadtländer Alpen
Die Rundwanderung um den Tour de Famelon ist voller geologischer Sehenswürdigkeiten. Sie beginnt und endet am Tête d’Aï, den man von Leysin aus mit einem Sessellift erreicht. Eine Schotterstrasse führt zum Lac de Mayen, wo die gleichnamige Berghütte unter anderem Fondues und belgische Biere, aber auch Erzeugnisse vom Hof im Direktverkauf anbietet. Weiter geht es den Wegweisern nach in Richtung Tour de Famelon und linker Hand zum Lac Segray, am Fuss des Tour de Mayen. Nachdem man noch etwas Höhe gewonnen hat, geniesst man einen prächtigen Blick auf das Profil des Felsturms, den benachbarten Tour d’Aï und den Grat zwischen den beiden Gipfeln. Nächste Station ist Sur les Truex, wo sich ein überwältigendes Panorama öffnet. Dahinter erstreckt sich ein Karrenfeld, das an eine Mondlandschaft erinnert, mit zerklüfteten und teils scharfkantigen Karstformationen. Entsprechend ist Trittsicherheit gefragt und trotz der faszinierenden, durch jahrhundertelange Prozesse geformten Kulisse stets auf die Markierungen am Boden zu achten. Über das Karrenfeld gelangt man an den Fuss des Tour de Famelon und umrundet diesen – wer mag, erklimmt auch noch den Gipfel. Das steinige Terrain wird von Feldwegen abgelöst, und nach einer Stärkung im Chalet Les Fers geht es schliesslich zurück zum Ausgangspunkt der Wanderung. Dieser letzte Abschnitt führt durch einen grossen Felskessel, der noch einmal beeindruckende Anblicke bietet – umso mehr, wenn Bäume, Sträucher und Moose in herbstliche Farben getaucht sind.
Von Höhlen und Feen
Die Region um den Tour d’Aï, den Tour de Mayen und den Tour de Famelon ist stark von der Erosion des örtlichen Kalkgesteins geprägt und weist entsprechend viele Höhlen auf. Da erstaunt es nicht, dass die Menschen dort seit jeher an die Existenz von Feen glauben – erst recht, wenn sich im Herbst der Nebel über das Land legt … Die bekannteste Legende handelt von einer Fee namens Nérine, die in der Höhle von Aï lebte. Zusammen mit anderen Feen half sie beim Hüten des Viehs, gegen ein Entgelt von einem Napf Rahm pro Tag. Nérine war in den Hirten Michel verliebt, für den aber auch einige Mädchen aus Leysin schwärmten, namentlich Salomé, eine schüchterne Blonde. Die junge Fee setzte alle ihre Kräfte ein, um den Hirten zu bezirzen, unter anderem mit einer romantischen Ausfahrt in einer geflügelten Kutsche. Als sie von den Eskapaden der beiden erfuhren, sorgten Nérines Rivalinnen dafür, dass der Napf mit Enzianwurzeln eingerieben und der Rahm damit für die Feen ungeniessbar wurde. Nach diesem Affront verliessen die Feen die Gegend, und Michel nahm schliesslich Salomé zur Frau. Bis heute feiert Leysin jedes Jahr Ende August die Nacht der Feen. Dann wird die Legende von Nérine erzählt, Aktivitäten und Angebote runden das traditionelle Dorffest ab. Die Höhle von Aï kann weiterhin begangen werden, ist aber nur für Kletternde zugänglich. Andere Höhlen in der Region, wie die Grotte de la Cathédrale in der Nähe von Le Fer in Richtung des Tour de Famelon, stehen auch Wandernden offen. Es ist jedoch ratsam, sich professionell begleiten zu lassen.
Verstecktes Fort
An der Ostseite des Tour de Famelon sind Öffnungen im Fels auszumachen. Dahinter verbirgt sich das Fort Famelon, erbaut im Zweiten Weltkrieg von der Schweizer Armee. Die Anlage umfasst 300 Meter Gänge und 400 Quadratmeter Räumlichkeiten, verteilt auf drei Stockwerke – Schlafsäle, Esszimmer, sanitäre Einrichtungen und Trainingsräume, aber auch einen Funkraum und mehrere Beobachtungsposten. Das Fort kann, auf Anfrage, besichtigt werden und bietet einen prächtigen Ausblick auf die Region.
Eine Sphinx in den Alpen
Der Tour de Famelon wird aufgrund seiner Form mit dem Hauptgipfel (2143 m) und einem nur leicht niedrigeren Vorgipfel (2126 m) sowie seiner dominanten Rolle im Landschaftsbild auch die «Sphinx der Alpen» genannt. Sein graues und rotes Gestein ist das Ergebnis der Verfestigung von Sedimenten aus Seen und Meeren.
Die Mitte der Welt
Nach Sur les Truex, auf dem Grat mit Blick auf Tour de Mayen und Tour d’Aï, markiert ein Schild die Mitte der Welt. Erklärt wird dies damit, dass das Wasser des Gletschers, der sich einst hier befand, Bäche, Flüsse und Ströme in ganz Europa speist, sowohl im Norden als auch im Süden.