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Wanderreportagen ABO

Gekratzte Kunst

Sie sind das Wahrzeichen der Engadiner Häuser: Sgraffiti. Die jahrhundertealte Handwerkskunst erlebt heute dank Malermeister Josin Neuhäusler einen neuen Aufschwung. Auf einer Wanderung von Sur En nach Scuol begegnet man dem Wandschmuck in Sent.
05.09.2025 • Text und Bilder: Daniel Fleuti
Zu den Sgraffiti im Unterengadin
Sent, Sur En — Scuol, Bogn Engiadina • GR

Zu den Sgraffiti im Unterengadin

Sie gehören zum Engadin wie die Nusstorte: die Sgraffiti. Die geheimnisvollen Figuren und Motive zieren die Fassaden der stattlichen Engadiner Häuser und verleihen den Dörfern einen einzigartigen Charme. Sgraffiti werden nicht gemalt, sondern in den Kalkputz gekratzt – nach traditioneller Technik, die zum kulturellen Erbe der Schweiz gehört. Die Vielfalt der Sgraffiti kann auf der Wanderung von Sur En über Sent nach Scuol entdeckt werden. Vom Dorf Sur En führt der Weg beim Camping erst über die gedeckte Holzbrücke mit Baujahr 1868 über den Inn, danach folgt eine Viertelstunde auf dem Natursträsschen bis zum Kieswerk, bevor der lauschige Bergwanderweg an der felsigen Südseite des Inns übernimmt. Über Stock und Stein geht es langsam höher, gelb verfärbte Birken leuchten mit der Sonne um die Wette, im Talgrund macht sich der tiefblaue Inn breit. Glaubt man bei La Fuorcha das Dorf Sent schon in Reichweite, beginnt der konditionell anspruchsvolle Teil der Tour: der Aufstieg dem Wildbach entlang durchs Val da Muglins. Steil windet sich der schmale Pfad in die Höhe, ab und zu erhascht man einen Blick auf die markante Kirche von Sent und die umliegenden Bergspitzen. Sent ist mit seinen engen Gassen, den grossen Dorfbrunnen und den reich verzierten Fassaden eine Augenweide – die Fortsetzung der Wanderung ebenso. Sie führt auf angenehmen Naturwegen über den Hof Chauennas hinunter nach Scuol, mit einzigartiger Aussicht übers Tal, auf den Inn und die markigen Unterengadiner Berge. Blickt man zurück, leuchtet in der Sonne nochmals Sent entgegen – ein Bild, das man gerne mit nach Hause nimmt.

zum Wandervorschlag

«Das ist das Gold des Engadins.» Josin Neuhäusler zeigt auf die Glasschälchen in seinem Atelier in Susch. Im ersten befindet sich Sand, im zweiten Kalk. Vermischt man einen Drittel Sand mit zwei Dritteln Kalk entsteht Mörtel, die Paste im dritten Schälchen. «Mörtel hält die Steine zusammen, aus denen die Häuser im Engadin gebaut sind. Kalk und Sand bilden zudem die Grundlage, um die Fassaden unserer Häuser mit Sgraffiti zu verzieren», erklärt Neuhäusler. Die charakteristischen, geheimnisvollen Symbole und Figuren verleihen den Engadiner Dörfern ihre Einzigartigkeit und machen aus jedem Haus ein Kunstwerk.

Mehr Tiefenwirkung

Im Atelier von Josin Neuhäusler dreht sich alles um Sand, Kalk und Sgraffiti. Der Malermeister bietet seit vielen Jahren Kurse an im «Sgraffitokratzen». «Ja, richtig. Ein Sgraffito wird weder gemalt noch gesprayt. Ein Sgraffito wird gekratzt.»

Und das geht so: Auf eine Hausfassade werden zuerst drei bis vier Schichten Kalkmörtel aufgetragen, der Putz. Je nach Herkunft des Sandes ist dieser unterschiedlich dunkel. Danach folgt eine Schicht weisser Kalkschlamm, ein Gemisch aus Kalk und Wasser. In diese oberste, helle Schicht wird das Sgraffito gekratzt, sodass die darunter liegende dunkle Schicht zum Vorschein kommt. Dank dieser Kratztechnik erhält ein Sgraffito Tiefe, es wird dreidimensional. Weiches, flaches Sonnenlicht unterstützt die Tiefenwirkung zusätzlich.

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