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Kolumne ABO

Wandern ist Komfort

24.05.2024

Alles neu macht der Mai – das weiss ich seit meiner frühsten Kindheit dank einem Liederbuch mit einem grossen Apfelbaum auf dem Umschlag. Auch abgesehen von den Umbrüchen in der Natur, die manchmal so schnell passieren, dass ich den Moment der Veränderung gar nicht fassen kann, wechselt in meinem Leben gerade überdurchschnittlich viel. Ich habe vor Kurzem eine neue Stelle angetreten und versuche, mich mit neuen Systemen und Aufgaben zurechtzufinden. Meine Mitbewohnerin zieht es für ein neues Studium ins Ausland, und ihr Zimmer muss neu besetzt werden. Mein Baby-Neffe ist bei jedem Treffen ein neuer Mensch mit komplett anderen Fähigkeiten. Und weil mein Portemonnaie gestohlen wurde, muss ich für alle Ersatzausweise aktuelle Fotos von mir schiessen und werde gezwungenermassen mit meinem alternden Gesicht konfrontiert. Ausserdem ist «Veränderung» das Fokusthema meiner wöchentlichen Yogastunde. Wie passend. Nun ist es blöderweise so, dass ich Veränderungen absolut nicht mag. Ich glaube, das liegt daran, dass jede Veränderung mit einem Abschied verbunden ist, der mich emotional komplett durchschüttelt. Nun, was ich eigentlich sagen will: Ich liebe die Komfortzone und finde sie trotz ihrem schlechten Ruf ziemlich genial. Es gibt das Phänomen «Comfort Binge», das heisst, wenn man sich eine altbekannte Serie immer wieder anschaut. Nicht, weil sie besonders gut wäre, sondern weil sie einem so vertraut ist, dass sie ein Geborgenheitsgefühl auslöst. Das funktioniert nicht nur mit Serien, sondern auch mit Büchern. Mit Musik oder Essen. Als mir kürzlich ob all meinen Veränderungen ein bisschen übel wurde und ich dringend frische Luft brauchte, habe ich herausgefunden, dass das auch mit dem Wandern ganz gut klappt. Am besten mit einer Lieblingsroute, die man mindestens schon dreimal abgewandert hat – no surprises. Und für alle, die mir ans Herz legen möchten, dass Stillstand per se nie gut ist: Veränderungen gibt es natürlich immer auch auf jeder Lieblingsroute. Einfach viel winziger und mit einer grossen Portion Geborgenheit.

Portrait_Ava_Slappnig

Über die Autorin

Ava Slappnig hat Germanistik, Gender Studies und Kulturpublizistik studiert. Sie arbeitet als Aufsicht im Kunstmuseum Bern und als Journalistin im Kulturbereich. Neben den offiziellen Wanderwegen erkundet sie auch mal Diskurse, Ideen und gesellschaftliche Phänomene.

Zu jeder Kolumne gestaltet die junge visuelle Gestalterin Leonie Jucker aus Bern eine lllustration.

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