Über den Reiz trüb-kalter Tage

Eine Wanderung bei kaltem Nebelwetter? Damit sie gelingt, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, findet WANDERN.CH-Leserin Mirjam Senn. Wir haben im Aargauer Jura die Probe aufs Exempel gemacht und festgestellt: Es funktioniert bestens.

Andreas Staeger, Raja Läubli

Dichter Wald bei Laufenburg hält den Schneeregen von den Wandernden fern.

Das Wetter stellt sich perfekt an! Zum Auftakt unserer Wanderung tanzen bereits die ersten Schneeflocken über der Altstadt von Laufenburg. Für unsere Pläne äusserst verheissungsvoll klang auch die morgendliche Wetterprognose: «Ein umfangreiches Tief mit Zentrum über Schottland steuert eine Kaltfront aus Westen zur Alpennordseite – stark bewölkt und zeitweise Niederschlag, mässiger bis starker Westwind.» Bei solchen Aussichten verwandelt sich manch hartgesottener Outdoorenthusiast in einen Stubenhocker. Mirjam Senn hingegen macht sich dann unverdrossen auf den Weg. Am Bahnhof Laufenburg steht sie auch jetzt mit Mütze und Handschuhen bereit, Softshell- und Regenjacke schützen sie vor Wind und Regen, die Wanderschuhe sind frisch gefettet. Die im aargauischen Wohlen lebende Lehrerin wandert leidenschaftlich gerne. Sie ist Mitglied der Aargauer Wanderwege und damit auch Leserin von WANDERN.CH.

An die Bergsonne – ins Mittelland?

Mirjam Senn ist nicht auf Sonne angewiesen.

Die Zeitschrift lese sie immer von vorne bis hinten, hatte sie der Redaktion mitgeteilt. Das Einzige, was sie vermisse, sei ein Wandervorschlag in der Winterausgabe für feuchtes, kaltes und nebliges Wetter. Zwischendurch in die Berge zu reisen, um auf einer Winterwanderung oder Schneeschuhtour wieder einmal Sonne zu tanken, sei zwar gut, liege aber nicht jedes Wochenende drin. «Da steht für mich eher eine Wanderung im Mittelland im Vordergrund. Auch wenn dort nicht die Sonne scheint, tut es gut, ein paar Stunden draussen unterwegs zu sein.»
In ihrem Brief nennt Mirjam Senn drei Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit eine solche «Schlechtwetterwanderung» aus ihrer Sicht zum Erfolg wird. Wir haben ihren Vorschlag aufgegriffen, zusammen mit den Aargauer Wanderwegen eine Route mit den geforderten Eigenschaften ausgetüftelt – und die Ideengeberin zum Praxistest eingeladen.

Kieswege ohne steile Passagen

Von Laufenburg geht es zunächst auf den Heuberg. Aus dunklen Wolken fällt zottiger Schneeregen. Der Tannenwald, den wir durchstreifen, hält den Niederschlag grösstenteils von uns fern. Im trüben Winterlicht leuchtet das Moos an den Baumstämmen und auf den am Waldboden herumliegenden Totholzästen in kräftigen Grüntönen.
Die Ortsbezeichnung Heuberg mag nach Gebirge klingen, führt aber in die Irre: Immerhin, der höchste Punkt der Anhöhe liegt auf 557 Metern ü. M. und damit schon 250 Höhenmeter über Laufenburg. Im oberen Teil weist der Weg sogar eine spürbare Steigung auf.
Hier kommt Mirjam Senns erstes Kriterium zum Zug: «Damit man bei feuchtem Wetter nicht ausrutscht, müssen die Wege möglichst kiesbedeckt und nicht zu steil sein. Auch ausgesetzte Stellen sind nicht günstig.» Der Aufstieg auf den Heuberg erfüllt diese Bedürfnisse in allen Punkten. Auch der nachfolgende Abstieg nach Kaisten ist nicht übermässig steil. Er verläuft mehrheitlich auf Kieswegen, zwischendurch auch auf kurzen Asphaltabschnitten und ermöglicht damit, die Aussicht zum Rhein und in die Hügelwelt der Juralandschaft unbeschwert auszukosten.

Auch optisch muss die Schlechtwetterwanderung was bieten: eine Baumhecke und viel Aussicht kurz nach Wolfgarte.

Aufwärmstationen

Die angekündigten Westwindstösse pfeifen uns inzwischen eisig kalt um die Ohren. Wir sind bereits mehr als eine Stunde unterwegs – allmählich wird es Zeit für eine Pause. «Bei kaltem Wetter mag man auch mit guter Kleidung nicht so lange unterwegs sein», findet Mirjam Senn. Auch ein Picknick sei weniger gemütlich. Deshalb sollte die Schlechtwetterwanderung nach ihrer Meinung «möglichst nach ein bis zwei Stunden an einem Gasthaus vorbeiführen, wo man etwas essen und trinken und sich aufwärmen kann». Volltreffer: An unserem Zwischenziel Kaisten stehen gleich mehrere Restaurants zur Auswahl – da kann selbst ein Wirtesonntag den Wanderern keinen Streich spielen.

Nach der Mittagspause geht die Tour weiter. Eine weitere Anhöhe steht bevor, doch diesmal ist der Aufstieg weniger steil und nur halb so lang wie am Vormittag. Es ist Zeit, auf den dritten Punkt in Mirjam Senns Wunschliste einzugehen: «In der dunklen Jahreszeit kann man sich im Mittelland kaum an klarem Fernblick und schöner Aussicht erfreuen», gibt sie zu bedenken. «Deshalb sollte die Wanderung möglichst durch eine schöne Gegend führen, die am Wegrand etwas bietet.» Sie denke dabei zum Beispiel an einen Waldweg oder an einen Bach.

Föhrenwiese, Buchenwald, Bach

Der Wolfgarte kommt da wie gerufen. Es handelt sich um eine mit Föhren bestandene Wiese, auf der im Sommer mehrere Orchideenarten gedeihen. Gleich danach quert der Wanderweg das Chilholz, einen Buchenwald mit jungen und alten Bäumen. Der schönste Abschnitt der Route aber steht erst noch bevor: Wie wir aus dem Wald treten, breitet sich eine malerische Landschaft vor uns aus: Links säumen Hecken ein Bächlein, rechts schweift der Blick über sanft gewellte Matten zu den umliegenden Jurahöhen. Der Schlechtwetterwanderin gefällt das Idyll: «Genau solche Dinge sind es, die ich beim Wandern mag», schwärmt sie.

Unterdessen ist nicht nur der Wind zur Ruhe gekommen. Am Himmel zeigen sich erste blaue Lücken, und schon bald bricht mildes Sonnenlicht durch die Wolkendecke. Zwischendurch fallen zwar weiterhin einzelne Flocken und Tropfen, doch das Wetter zeigt sich deutlich freundlicher als prognostiziert. Die Meteorologen haben ihre Prognose denn auch angepasst und räumen jetzt ein, auf der Rückseite der Kaltfront habe sich vorübergehend eine Wetterberuhigung eingestellt. Neben Mirjam Senns drei Kriterien für eine Schlechtwetterwanderung könnte man somit eine vierte Empfehlung erwägen: Man sollte sich nicht von den Wetterfröschen verdriessen lassen, sondern lieber einfach wandern gehen – selbst an trüben und kalten Tagen lässt sich viel Schönes in der Natur erleben. Und womöglich nimmt das Wettergeschehen ohnehin eine überraschende Wendung.

Nachwandern? Hier der Wandervorschlag zur Geschichte

Wanderung

Laufenburg > Oeschgen   10.8 km | 3 h 10

Der Heuberg im Norden des Kantons Aargau gehört zu jenen «Gipfeln» der Schweiz, die praktisch an jedem Tag des Jahres bestiegen werden können: Weder der Aufstieg ab Laufenburg noch der Abstieg nach Kaisten sind allzu steil; beide verlaufen auf gut ausgebauten Kieswegen. Auch....

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